Eine Geschichte von Ansgar Bach:

Diamonds

Funkelnde Klunker, soweit die Brieftasche reicht – nein, viel weiter. Hier kann man fischen gehen: Diamanten, Brillanten, Saphire und Rubine, mit und ohne Fassung aus Platin, Gold und platiniertem Silber. Wir befinden uns auf dem Diamond Jewelry Way, 47th Street, NYC. Ich denke an das kubische Diamantgitter und an meinen Ofen in Berlin. Der braucht Kohlenstoff im Brikettformat, würde aber auch Diamanten akzeptieren. Ein Juwelier reiht sich an den anderen. Vollbärtige Händler stehen in Hut und Mantel gehüllt vor den edlen Auslagen und bleiben very cool. Wir haben 50 Dollar dabei. Hier könnten wir bestenfalls mit einem Revolver shoppen. Es ist nicht schön seine Grenzen zu kennen. Erst mal eine heiße Pizza essen, zwei Viertel, Salami für Ute, Schinken für mich, einen Chemiker. Es ist kalt im Januar 2001. Wir spazieren auf der 47th zwischen 5th und 6th Avenue.

An einer Stelle quellen Dampfwolken aus einer Fernheizung über unsere Köpfe. Nur in Intervallen geben sie ein gusseisernes Schild frei: Wise men fish here, geschlagen in Eisen, hammerschlag-schwarz oxidiert. Siehe da, ein Antiquariat, verkrochen im Souterrain, ein versteckter Edelstein inmitten dieser Glitzermeile. Der Laden heißt: Gotham Book Mart. Wir steigen hinab und gehen hinein. Eine Angestellte möchte uns helfen. „Thank you, we are just browsing around“, sagen wir fast gleichzeitig und bleiben ungestört. (Diesen hilfreichen Satz haben wir zuvor einem Freund abgelauscht).

Wir laufen stöbernd durch die Gänge zwischen den Regalen, voll mit Werken von Wilde, Rilke und Artaud sowie natürlich Kerouac, Ginsberg, Burroughs und Bowles. Ute entdeckt eine Kiste mit Postkarten. Wir fischen gelassen, schauen mal hier und mal dort. Wir haben Zeit, denn hier ist es warm.

So bekomme ich Gaps and Verges in die Hände, Poems by Roald Hoffmann. Da habe ich doch tatsächlich den Roald von den chemisch so bedeutsamen Woodward-Hoffmann-Regeln an der Angel. Im Einband wurde mit Bleistift notiert: 7.95 $ und mit Tinte geschrieben: To Marilyn with best wishes, Roald Hoffmann 1994. Ein Foto zeigt den Chemie-Nobelpreisträger von 1981 monalisisch lächelnd vor einem Buchregal. Auf 86 Seiten locken seine Gedichte mit Titeln, wie: Evolution, June 1944, Two Fathers oder Organic, Inorganic. Two Fathers gefällt mir auf Anhieb. Begeistert zeige ich Ute meinen Fang. Sie freut sich mit mir und zeigt auf eine Karte mit einem Foto von Primo Levi, in einem Labor, den Betrachter melancholisch anblickend. Primo Levi, der berühmte italienische Schriftsteller und Chemiker. ‚Unerwartete Fischgründe sind das hier, besonders für Chemiker‘, denke ich. Ute möchte auch etwas finden und zeigt schließlich auf ein T-Shirt mit dem Aufdruck: Books, Cats – Life is good, 17.95 $. Es gibt nur noch die Größe XXL und sie sagt: „O.k., nehme ich es eben als Nachthemd“.

So fischen wir das T-Shirt, das Buch von Roald Hoffmann, die Postkarte mit Primo Levi und einige andere dazu. Wir freuen uns über den guten Fang und darüber, dass uns noch fast 20 Dollar bleiben, die wir im nächsten Deli verfuttern werden.

Draußen ist es schon dunkel und sehr kalt. Die Dampfwolken verhüllen das Schild.
Fish here wise men sollte dort stehen.

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